Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 8. Februar 2022 (1 ABR 2/21) entschieden, dass dem Betriebsrat kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zusteht, wenn der Betriebsrat in einem bislang betriebsratslosen Betrieb erst gebildet wurde, nachdem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat.

 

 

SACHVERHALT

 

Die Arbeitgeberin unterhielt einen aus zwei Betriebsstätten bestehenden Betrieb, in dem zuletzt 25 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Am 22. Juni 2018 teilte sie den Beschäftigten ihre Absicht mit, den Betrieb zum 31. August 2018 stillzulegen. Bereits drei Tage später kündigte die Arbeitgeberin den überwiegenden Teil der Arbeitsverhältnisse. Am 5. Juli 2018 wurde im Betrieb die Einladung zur Bestellung eines Wahlvorstands ausgehängt. Eine Woche später fand eine Wahlversammlung statt. Der am 20. Juli 2018 gewählte Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin in der Folgezeit erfolglos auf, Sozialplanverhandlungen aufzunehmen. Eine vom Arbeitsgericht eingesetzte Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Aufstellung eines Sozialplans wegen der Betriebsschließung“ erklärte sich mit Spruch vom 17. Mai 2019 für unzuständig.

 

Der Betriebsrat war der Auffassung, ihm stehe im Zusammenhang mit der Betriebsstilllegung ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zu und leitete ein entsprechendes Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht ein.

 

Die ersten beiden Instanzen wiesen den Antrag des Betriebsrats zurück und gaben der Arbeitgeberin recht.

 

ENTSCHEIDUNG

 

Auch die vom Bundesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Betriebsrates hatte keinen Erfolg.

 

Das Bundesarbeitsgericht hält dabei an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass der Betriebsrat eines bislang betriebsratslosen Betriebs, der erst nach Beginn der Durchführung der Betriebsänderung gewählt wird, keinen Sozialplan erzwingen kann.

 

Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats entstehen in dem Moment, in dem sich derjenige Tatbestand verwirklicht, an den das jeweilige Recht anknüpft. Dies sei im Falle der §§ 111 ff. BetrVG die beabsichtigte und damit noch in der Zukunft liegende Betriebsänderung. Die Beteiligung des Betriebsrats soll grundsätzlich stattfinden, bevor die Betriebsänderung durchgeführt ist. Daher kann ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auf Abschluss eines Sozialplans nicht mehr entstehen, wenn dieser zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat, noch nicht gebildet war.

 

Für diese Auslegung spräche schon der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen, wenn in den maßgeblichen Vorschriften stets von der „geplanten” Betriebsänderung die Rede sei.

 

Um eine Planung im Sinne der §§ 111 ff. BetrVG handle es sich, wenn der Arbeitgeber aufgrund abgeschlossener Prüfungen und Vorüberlegungen grundsätzlich zu einer Betriebsänderung entschlossen ist. Gegenstand der Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte bilde allerdings nicht die Planung des Arbeitgebers als solche, sondern die „geplante Betriebsänderung“. Die von §§ 111 ff. BetrVG erfassten unternehmerischen Maßnahmen sind so lange (lediglich) „geplant“, wie der Arbeitgeber noch nicht mit der Umsetzung seiner Planung begonnen hat. Solange er noch nicht damit angefangen habe, die Betriebsänderung auch tatsächlich durchzuführen, bestünde noch die Möglichkeit des Betriebsrats, auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen.

 

Zu unterscheiden sei dabei auch nicht zwischen den Verhandlungen der Betriebsparteien über einen (vorgelagerten) Interessenausgleich und einem Sozialplan. Auch für das Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung eines Sozialplans sei nach der Konzeption der gesetzlichen Regelungen davon auszugehen, dass dieser regelmäßig bereits vor Durchführung der Betriebsänderung verhandelt und vereinbart werden solle, weil er nur dann seiner Befriedungs- und Ausgleichsfunktion in vollem Umfang gerecht werden könne.

 

Die Möglichkeit des Betriebsrats, auch gegen den Willen des Arbeitgebers einen Sozialplan erzwingen zu können, solle auch dazu beitragen, dass der Arbeitgeber die Betriebsänderung in einer möglichst schonenden Form durchführt. Diese gesetzlich vorgesehene Funktion des Sozialplans als Instrument auch zur mittelbaren Einflussnahme auf den unternehmerischen Prozess der Willensbildung und Entscheidung über die Betriebsänderung beruhe allerdings auf der Prämisse, dass schon dann ein Betriebsrat besteht, wenn die Maßnahme noch nicht vom Arbeitgeber umgesetzt worden ist. Nur dann könne und müsste der Arbeitgeber etwaige finanzielle Belastungen durch einen Sozialplan in seine Entscheidung einbeziehen. Der Umstand, dass ein Sozialplan auch noch nach erfolgter Betriebsänderung abgeschlossen werden könne und der Arbeitgeber entsprechende Kosten einkalkulieren könnte, ändere an dieser gesetzlichen Konzeption nichts.

 

Praxishinweis

 

Das Bundesarbeitsgerichtes hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest und lehnt in diesen Fällen ein Mitbestimmungsrecht ab, auch wenn die Betriebsänderung noch nicht abgeschlossen ist. Umso wichtiger ist es schon frühzeitig einen Betriebsrat zu gründen und nicht erst „anlassbezogen“, wenn der Arbeitgeber Betriebsschließungen oder andere Betriebsänderungen bereits beschlossen hat. In diesem Fall erfolgt die Gründung leider zu spät und man kann nur noch auf die Bereitschaft des Arbeitgebers hoffen einen freiwilligen Sozialplan abzuschließen. Unabhängig von Betriebsänderungen ist die Gründung eines Betriebsrates immer sinnvoll, damit die Interessen der Beschäftigten angemessene Berücksichtigung finden.

 

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 08.02.2022 – 1 ABR 2/21

Vorinstanz: Hessischen Landesarbeitsgerichts, Beschluss vom 21. Juli 2020 – 4 TaBV 170/19