Am 11.06.2024 wurde vor dem Amtsgericht Freiburg wegen des Vorwurfs des gewerbsmäßigen Diebstahls gegen einen Geflüchteten verhandelt, dem vorgeworfen wurde, zwei Zahnbürsten gestohlen zu haben – Radio Dreyeckland berichtete mit einem Interview mit Rechtsanwalt Jan-Georg Wennekers.

Das Verfahren endete mit einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. In der Sache lag der Fall hinsichtlich des Diebstahls ganz eindeutig – die Tat war auf Videoaufnahmen dokumentiert, der Angeklagte war noch vor Ort geständig gewesen.

Der Fall bietet aber Anlass zu einigen rechtspolitischen Hinweisen: Das deutsche Strafrecht ist nach wie vor durchsetzt mit einer Vielzahl systemischer Ungerechtigkeiten. Hierauf weisen seit vielen Jahren sowohl der Strafverteidigertag, als auch der Anwaltsverein RAV hin.

So können beispielsweise regelmäßig Menschen mit niedrigem Einkommen Geldstrafen nicht bezahlen, so dass es bei ihnen sehr oft zur ersatzweisen Vollstreckung als Freiheitsstrafe kommt.

 

Feststellung der Gewerbsmäßigkeit

Wegen besonders schweren Diebstahls in Form eines gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß § 243 Absatz 1 Nr. 3 StGB wird verurteilt, wenn es das Motiv des Täters war, „sich aus der wiederholten Begehung von Diebstählen eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und nicht unerheblicher Dauer zu verschaffen“. Diese Feststellung fällt Gerichten bei finanziell armen Menschen erheblich leichter – insbesondere bei nur sehr geringem oder keinem Einkommen. Auch die mehrfache Begehung von Diebstahlstaten als weiteres Beweisanzeichen für die Annahme einer „Gewerbsmäßigkeit“ ist etwa bei Beschaffungstaten suchtkranker Menschen vermehrt festzustellen. Weshalb hier ein prekärer Lebensumstand mittelbar zu einem heraufgesetzten Strafrahmen führt, ist nicht einsehbar und schlicht verfehlt. Während in den übrigen Fällen des besonders schweren Diebstahls § 243 StGB konkrete Opferbelange nachvollziehbar geschützt werden, ergibt sich hinsichtlich der „Gewerbsmäßigkeit“ faktisch eine Armutsbestrafung.

Das Fehlen eines festen Wohnsitzes, also Obdachlosigkeit, führt sodann vielfach zur Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr – weshalb Menschen in prekären Lebenssituationen schon für eher geringfügige Taten regelmäßig in Untersuchungshaft kommen. So auch in dem Verfahren, das vor dem Amtsgericht Freiburg verhandelt wurde.

Dadurch, dass das Verfahren als beschleunigtes Verfahren gemäß §§ 417 ff. StPO geführt wurde, konnte schon drei Tage später verhandelt werde. Bei klaren Sachverhalten und Verfahren gegen Menschen ohne festen Wohnsitz führt dieses Vorgehen immerhin zu einer Verkürzung des Freiheitsentzugs – verhältnismäßig erscheint dieser bei Warenhausdiebstählen aber nach wie vor nicht.

 

Zu allen strafrechtlichen Fragen beraten und vertreten Sie die Strafverteidiger Jens Janssen, Jan-Georg Wennekers. Dr. Jan-Carl Janssen und Katharina Ebert.

 

§ 243 StGB – Besonders schwerer Fall des Diebstahls

(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1. zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält,

2. eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist,

3. gewerbsmäßig stiehlt,

4. aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient,

5. eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist,

6. stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder

7. eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.