Entscheidung des Amtsgerichts Freiburg vom 19.5.2020 zur EU-Fahrerlaubnis
Die Staatsanwaltschaft Freiburg wirft dem Angeschuldigten vor mit einem Pkw gefahren zu sein, obwohl er die erforderliche Fahrerlaubnis nicht gehabt habe, was er gewusst habe. Dieser Vonıvurf gegen den Angeschuldigten gründet sich auf dem Verdacht eines Wohnsitzverstoßes bei Erlangung eines ungarischen Führerscheins, den er bei der polizeilichen Kontrolle zur Tatzeit vorgezeigt hatte. Die Ermittlungen ergaben, dass dieser ungarische Führerschein am XX.XX.XXXX ausgestellt worden war, und damit nach Ablauf eines in Deutschland gegen den Angeschuldigten verhängten Fahnıerbots. Erteilt wurde die Fahrerlaubnis am XX.XX.XXXX. Eine Überprüfung der Meldedaten durch die Fahrerlaubnisbehörde ergab, dass der Angeschuldigte durchgängig seit 2014 in Deutschland gemeldet war.
Es wurde der Erlass eines Strafbefehls beantragt, den das Amtsgericht Freiburg auf Antrag der Verteidigung abgelehnt hat:
1. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Freiburg vom XX.XX.XXXX auf Erlass eines Strafbefehls wird zurückgewiesen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten.
Kein hinreichender Tatverdacht
„Ein hinreichender Tatverdacht ist nicht gegeben, so dass der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zurückzuweisen war, § 408 Abs. 2 StPO. Hinreichender Tatverdacht besteht bei vorläufiger Tatbewertung in der Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung. Es muss für eine Straftat des Angeschuldigten einschließlich der Rechtswidrigkeit und Schuld wahrscheinlich genügender Beweis vorliegen. Genau daran fehlt es jedoch. Gemäß § 28 Abs. 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, grundsätzlich im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Dies gilt unter anderem dann nicht, wenn nach § 28 Abs. 4 Nr.2 FeV der Inhaber der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedsstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte, es sei denn dass er als Studierender oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens 6-monatigen Aufenthalts enıvorben hatte.
Lediglich Anfangsverdacht eines Wohnsitzverstoßes
Vorliegend besteht zwar der Anfangsverdacht eines Wohnsitzverstoßes, da der Angeschuldigte nach Auskunft der Fahrerlaubnisbehörde seit 2014 durchgehend in Deutschland gemeldet ist. Ein hinreichender Tatverdacht, also die Wahrscheinlichkeit für eine spätere Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, ergibt sich daraus jedoch nicht. Es sind weitere Ermittlungen nötig, um den möglichen Wohnsitzverstoß nachweisen zu können. Grundsätzlich gilt insoweit der Grundsatz europafreundlichen und -konformen Verhaltens, weshalb für die Prüfung des § 28 Abs. 4 Nr.2 FeV wie bereits ausgeführt entweder Angaben im EU-Führerschein oder vom Ausstellermitgliedstaat selbst herrührende unbestreitbare Informationen maßgebend sind. Dies führt dazu, dass selbst eigene Angaben des Fahrerlaubnisinhabers nicht berücksichtigt werden können, selbst wenn dieser einen Wohnsitzverstoß einräumen würde.
Deutsche Behörden haben kein eigenes Prüfungsrecht bzgl. des Wohnsitzes
Hinzu kommt, dass deutschen Behörden kein eigenes Prüfungsrecht zukommt, Nachfragen etwa bei Arbeitgebern oder Vermietern in Deutschland damit nicht möglich sind. Behörden oder Gerichte können einzig Informationen beim Ausstellermitgliedsstaat einholen, wenn ernstliche Zweifel daran bestehen, dass der Erwerber der Fahrerlaubnis bei deren Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Gebiet des Ausstellermitgliedsstaates hatte (vgl. Hentschel/König/Dauer, 45. Auflage, Straßenverkehrsrecht, § 28 FeV, Rn 26 ff.). Aus dem ungarischen Führerschein selbst ergeben sich keine Erkenntnisse zum Wohnsitz des Angeschuldigten. Vorliegend kann ein hinreichender Tatverdacht des Fahrens ohne Fahrerlaubnis somit nur vorliegen, wenn im Wege der Rechtshilfe vom ungarischen Staat entsprechende Erkenntnisse zum Wohnsitz des Angeschuldigten gewonnen werden könnten.
Keine eigenen Ermittlungen des Amtsgerichts
Eigene Ermittlungen des Amtsgerichts Freiburg sind nicht veranlasst. Gemäß § 202 StPO kann das Amtsgericht vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen. Dabei muss es sich jedoch um bloße Ergänzung eines von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bereits weitgehend aufgeklärten Sachverhalt handeln. Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung eines von der Staatsanwaltschaft nicht ausreichend belegten Anklagevorwurfs sind gesetzlich nicht vorgesehen. Vorliegend werden aber noch Rechtshilfeersuchen an Ungarn zu richten sein, da nur auf diesem Wege ein hinreichender Tatverdacht gegen den Angeschuldigten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis erlangt werden kann. Dabei handelt es sich um einen grundlegenden Teil der Ermittlungsarbeit, der gemäß § 160 StPO in die Regelzuständigkeit der Staatsanwaltschaft fällt (vgl. hierzu BeckOK StPO, 36. Edition, § 202 Rn 4 mwN; Beschluss des OLG Karlsruhe, StV 2004, 325; OLG Stuttgart, Beschluss vom 10.08.2016, 4 Ws 282/15). Nach alledem ist ein hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO zu verneinen und der
Erlass des beantragten Strafbefehls abzulehnen, § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO.“
Für Rückfragen stehen die Strafverteidiger Jens Janssen, Jan-Georg Wennekers und Dr. Jan-Carl Janssen, Anwaltsbüro im Hegarhaus, Freiburg zur Verfügung.