– Stellungnahme zu kriminalpolitischen Reformvorhaben im Bereich des Jugendstrafrechts –
Sollte das Jugendstrafrecht angesichts der jüngsten medial diskutierten Vorfälle verschärft und Altersgrenzen im Jugendstrafrecht herabgesetzt werden? Unterschieden werden muss einerseits zwischen Forderungen, die die Strafmündigkeitsgrenze – die derzeit 14 Jahre beträgt – senken möchte und andererseits Forderungen, die die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende begrenzen möchten – was derzeit bis zum 21. Lebensjahr möglich ist.
Wir verweisen auf das Positionspapier der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) e.V. vom 13.2.2025 und unterstützen diese Forderung:
Die DVJJ fordert: Keine Änderungen der Altersgrenzen im Jugendstrafrecht!
„Aus Anlass verschiedener Forderungen nach Ausweitung der Strafmündigkeit auf Kinder unter 14 Jahren und der vollständigen Herausnahme der 18 bis 20-Jährigen aus dem Jugendstrafrecht bekräftigt die DVJJ ihre Positionen:
1. Deutschland braucht kein Kinderstrafrecht!
2. Deutschland braucht das flexible Jugendstrafrecht für Heranwachsende!
Weder die Senkung der Strafmündigkeitsgrenze noch die Herausnahme der Heranwachsenden aus dem Jugendstrafrecht würden zur Reduzierung von Straftaten beitragen. Das Jugendstrafrechtssystem ist für Kinder unter 14 Jahren nicht geeignet, Verhaltensauffälligkeiten kann mit anderen Mitteln sehr viel besser begegnet werden. Die flexiblen Mittel des Jugendstrafrechts sind aber für effektive Verhinderung von Straftaten Heranwachsender sehr viel besser geeignet als das Erwachsenenstrafrecht.“
Die Langfassung des Positionspapiers finden Sie hier.
Wahlprogramm der AfD
Im Wahlprogramm der AfD finden sich auf S. 118 folgende Forderungen:
„Die Anzahl jugendlicher und heranwachsender Straftäter hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen; besonders auffällig sind hier bei Personen mit Migrationshintergrund. Vermehrt werden Kinder bei der Begehung von Straftaten festgestellt. Das jetzige Jugendstrafrecht wird den Anforderungen nicht mehr gerecht. Wir fordern daher: Herabsetzung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre, Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts nur noch auf Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs, Zeitnahe Inhaftierung von Personen, die als Mehrfach- und Intensivtäter eingestuft werden, regelmäßige Durchführung einer biologischen Altersfeststellung: bei Zweifeln, ob noch Jugendstrafrecht anzuwenden ist, bei Straftaten von erheblicher Bedeutung und bei Mehrfachtätern.“
Wahlprogramm der CDU
Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl der CDU findet sich auf S. 37 eine Forderungen, die die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende betrifft:
„Gleiche Rechte, gleiche Verantwortung. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende (18 bis 21 Jahre) die Ausnahme bleiben und im Regelfall das Erwachsenenstrafrecht gelten. In der Praxis hat sich dieses Verhältnis jedoch seit langem in das Gegenteil verkehrt. Für uns steht fest: Künftig soll auf alle Heranwachsende (18 bis 21 Jahre) das allgemeine Strafrecht Anwendung finden.“
Einordnung zur Altersgrenze
An dieser Stelle soll zunächst eine Einordnung zur Altersgrenze erfolgen:
„Heranwachsender ist gemäß § 1 Abs. 2 Hs. 2, „wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist“; umfasst ist damit der Zeitraum ab Vollendung des 18. bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres. Bei dieser Altersgruppe gibt es keinen Automatismus, weder was die Anwendung von Jugend- noch von Erwachsenenstrafrecht betrifft. Vielmehr werden Heranwachsende nur dann wie Jugendliche behandelt, wenn die Voraussetzungen des § 105 vorliegen. Danach ist Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn entweder nach der Nr. 1 des § 105 Abs. 1 ein Reiferückstand vorliegt oder nach dessen Nr. 2 die begangene Tat eine typische Jugendverfehlung darstellt.“ (BeckOK JGG/H. Putzke, 35. Ed. 1.2.2023, JGG § 1 Rn. 7-7.1, beck-online)
Sofern die CDU in Ihrem Wahlprogramm fordert, dass künftig für alle Heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) das allgemeine Strafrecht gelten soll und die AfD fordert, die Strafmündigkeitsgrenze auf 12 Jahre abzusenken, werden dabei die wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entwicklung von Jugendlichen missachtet. Aus unserer Sicht handelt es ich um einen nicht evidenzbasierten populistischen kriminalpolitischen Vorstoß, der klar zurückzuweisen ist. Dass die Ahndung von Straftaten von Heranwachsenden durch das allgemeine Strafrecht effektiver erfolgen könnte erscheint fernliegend, vielmehr bietet das Jugendstrafrecht deutlicher effektivere Möglichkeiten auf Heranwachsende einzuwirken. Auch unter präventiven Gesichtspunkten gibt es keinen Anlass, Heranwachsende zukünftig nur mit dem allgemeinen Strafrecht zu ahnden. Es erscheint wenig plausibel, dass sich Heranwachsende vor etwaigen Taten Gedanken darüber machen, ob auf sie das allgemeine Strafrecht oder Jugendstrafrecht angewendet wird (und dies für sie einen positiven Effekt hätte). Auch heute erfolgt bereits eine Prüfung gem. § 105 JGG, ob das allgemeine Strafrecht oder Jugendrecht auf einen Heranwachsenden angewendet wird. Unzutreffend ist ferner die Annahme, dass das Jugendrecht „milder“ als das allgemeine Strafrecht ist, da es im Vergleich zu Jungerwachsenen (21-25 Jahre) bei der Anwendung von Jugendstrafrecht auf Heranwachsende statistisch häufiger zur Verhängung von Freiheitsstrafen ohne Bewährung kommt (vgl. Spiess, G. (2021). Jugend als Strafschärfungsgrund? Zur Rechtswirklichkeit der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis. In R. Haverkamp, M. Kilchling, J. Kinzig, D. Oberwittler & G. Wössner (Hrsg.), Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht, Festschrift für Hans-Jörg Albrecht (S. 1035 – 1048). Berlin: Duncker & Humblot.)
Im Ergebnis sollte generell auch auf Heranwachsende das Jugendstrafrecht angewendet werden und die Strafmündigkeitsgrenze nicht abgesenkt werden – wir brauchen kein Kinderstrafrecht.
In allen Fragen zum Jugendstrafrecht beraten Sie die Strafverteidiger Dr. Jan-Carl Janssen, Jens Janssen und Jan-Georg Wennekers.