24.10.2022
Diese Woche verweisen wir auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Maßregelrecht: Der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
Mit Beschluss vom 25.08.2022 – 1 StR 265/22 wegen Brandstiftung hat der Bundesgerichtshof in einem am 24.10.2022 veröffentlichen Beschluss entschieden, dass das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 31. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben wird; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Brandstiftung und Sachbeschädigung freigesprochen sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 Satz 1 StGB).
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte seit dem Jahr 2013 an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie; er hört Stimmen, fühlt sich verfolgt und auch im Übrigen ist sein Denken gestört. Spätestens seit August 2020 kann der Angeklagte die krankheitsbedingten Schübe nicht mehr kontrollieren. Da am 17. November 2021 weder ein Mitbewohner aus der Asylbewerberunterkunft in W. an ihn Marihuana veräußerte noch eine unbekannt gebliebene Person ihn solches Rauschgift mitkonsumieren ließ, wollte der Angeklagte „aus Wut und Verärgerung“ (UA S. 7) den ihm zugewiesenen Wohncontainer in Brand setzen. Dazu stapelte er brennbare Gegenstände, insbesondere Möbel, an einer Containerwand auf und zündete sie mit einem Feuerzeug an; die Flammen schlugen hoch. Der feuerfeste Container fing kein Feuer, war jedoch für mindestens viereinhalb Monate infolge der massiven Rauchgasantragungen, des von der alarmierten Feuerwehr eingesetzten Löschwassers und der Beschädigung der Elektroleitungen unbewohnbar; der Sachschaden betrug über 7.600 € (ohne Umsatzsteuer). Dies alles nahm der Angeklagte bei erhaltener Unrechtseinsicht billigend in Kauf; infolge seiner psychischen Erkrankung verkannte er indes die Realität und waren sein Denken, Erleben, Wahrnehmen und Handeln ‚verformt‘, sodass seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert, wenn nicht gar aufgehoben war.
Nach der Würdigung des Landgerichts, das dem Gutachten des Sachverständigen gefolgt ist, hörte der Angeklagte – wie von diesem in seiner Einlassung angegeben – keine Stimmen bei der Brandlegung; gleichwohl habe sich die Schizophrenie dadurch ausgewirkt, dass der Angeklagte außerstande gewesen sei, seine verzerrte Realitätswahrnehmung mit der Wirklichkeit abzugleichen. Anders sei das auffällige Missverhältnis zwischen der Frustration, kein Marihuana erworben zu haben, und der Schwere der Tat nicht erklärlich (UA S. 21).
2. Der Maßregelausspruch hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder zumindest vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 5. April 2022 – 1 StR 34/22 Rn. 5; vom 27. Ja-nuar 2022 – 1 StR 453/21 Rn. 6 und vom 22. September 2021 – 1 StR 305/21 Rn. 17; je mwN). Erforderlich ist demnach zunächst eine eindeutige Bewertung des Zustandes des Täters. Insoweit muss geklärt werden, ob er (noch) die Fähigkeit besitzt, das Unrecht seines Tuns zu erkennen, und lediglich nicht in der Lage ist, danach zu handeln, oder ob ihm bereits die Fähigkeit fehlt, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen (BGH, Beschlüsse vom 5. April 2022 – 1 StR 34/22 Rn. 6; vom 6. Mai 2020 – 4 StR 12/20 Rn. 5 und vom 12. Februar 2020 – 1 StR 25/20 Rn. 5; je mwN).
Schließlich muss es überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird; dadurch muss eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu besorgen sein. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrige Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (BGH, Beschlüsse vom 2. September 2020 – 1 StR 273/20 Rn. 11; vom 6. August 2020 – 1 StR 93/20 Rn. 10 und vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14 Rn. 14; je mwN).
Gründe für die Aufhebung des Urteils des Landgerichts Stuttgart
b) Allen genannten Voraussetzungen wird das Urteil nicht gerecht.
aa) Zwar hat sich das Landgericht, das sich – wie geboten (§ 246a Abs. 1 Satz 1 StPO) – sachverständig hat beraten lassen, auf eine zumindest erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit festgelegt; es ist aber bereits nicht festgestellt, dass die diagnostizierte Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F20) hier ein ausreichend gewichtiges Ausmaß erreicht hat, um das psychopathologische Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung (§§ 20, 21 StGB) annehmen zu können (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Novem-ber 2021 – 2 StR 173/21 Rn. 23; Beschlüsse vom 9. März 2022 – 3 StR 19/22 Rn. 6 und vom 3. Dezember 2020 – 4 StR 175/20 Rn. 7; je mwN).
bb) Zudem ist der symptomatische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Anlasstat nicht belegt. Es bleibt – auch unter Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten zu seinem Beweggrund (UA S. 12 f.) – offen, was genau der Angeklagte verkannte oder – in anderen Worten – was er gedanklich fehlverarbeitete (UA S. 27). Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Auch insoweit wäre die konkretisierende Darlegung erforderlich gewesen, in welcher Weise die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der Tatsituation und damit dessen Steuerungsfähigkeit beeinflusste (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. März 2021 – 1 StR 15/21 Rn. 6; vom 19. Januar 2021 – 4 StR 449/20 Rn. 17 und vom 22. September 2020 – 4 StR 147/20 Rn. 14; je mwN). Weder die „Realitätsverzerrung“ noch die „gedankliche Fehlverarbeitung“ werden näher begründet, sondern lediglich als Ergebnis der Beurteilung durch den Sachverständigen zugrunde gelegt. Dies ist rechtsfehlerhaft, zumal eine Realitätsverkennung eher die Annahme von fehlender Unrechtseinsicht nahelegen dürfte. Besondere, nicht mehr „normalpsychologisch“ zu erklärende Auffälligkeiten des Angeklagten sind zur Tatzeit nicht ersichtlich; solche haben weder die Mitbewohner noch die alarmierten Polizeibeamten geschildert und ergeben sich auch nicht aus dem plötzlichen Widerstand des Angeklagten in der Gewahrsamszelle. Die Brandstiftung ließe sich auch normalpsychologisch allein mit Wut und Ärger über den misslungenen Rauschgifterwerb erklären (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. März 2021 – 1 StR 15/21 Rn. 6; vom 2. September 2020 – 1 StR 273/20 Rn. 14 und vom 7. Juli 2020 – 2 StR 121/20 Rn. 10); der Schluss von der Nichtigkeit der Tatmotivation auf den symptomatischen Zusammenhang erweist sich unter diesen Umständen – jedenfalls nicht ohne weitere Erläute-rung – als nicht tragfähig.
cc) Bei der Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht eine am 6. August 2020 begangene, nicht angeklagte Tat herangezogen, bei welcher der Angeklagte einen anderen Mitbewohner beim Streit um eine Zigarette mit einem Messer unter den Worten bedrohte, er werde diesen umbringen. Aber auch bei dieser Bedrohung ist ein symptomatischer Zusammenhang weder festgestellt noch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen. Nicht verfahrensgegenständliche Taten dürfen jedoch nur dann berücksichtigt werden, wenn sie ihrerseits in einem Zusammenhang mit der Erkrankung des Täters stehen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2021 – 4 StR 449/20 Rn. 20; vom 3. Dezember 2020 – 4 StR 371/20 Rn. 18 und vom 17. November 2020 – 4 StR 390/20 Rn. 34; je mwN).
c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen und bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Hingegen unterliegt auch der Freispruch der Aufhebung (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 9. März 2021 – 1 StR 15/21 Rn. 8; vom 18. Februar 2021 – 4 StR 429/20 Rn. 15 und vom 19. Januar 2021 – 4 StR 449/20 Rn. 22; je mwN).
Die Entscheidung ist im Volltext hier abrufbar.
Rechtsanwalt Jens Janssen, Jan-Georg Wennekers und Dr. Jan-Carl Janssen, Anwaltsbüro im Hegarhaus, Freiburg.