Mit Beschluss vom 24.01.2025 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Auslieferung einer non-binären Person mit deutscher Staatsangehörigkeit unzulässig war (Beschluss vom 24. Januar 2025 – 2 BvR 1103/24). Der Verfassungsbeschwerde wurde stattgegeben. Das Verfahren ist aus mehreren Gründen von erheblicher Bedeutung für das Auslieferungsrecht.
Einerseits wurde durch die Behörden in diesem Verfahren vorschnell vollendete Tatsachen geschaffen, da die Auslieferung bereits zu einem Zeitpunkt vollzogen wurde, als das Bundesverfassungsgericht bereits mit der Angelegenheit befasst war (Beschl. v. 28.06.2024, Az. 2 BvQ 49/24). Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde nicht gewartet, was grundsätzliche Frage zum Rechtsschutz und zur Praxis des Auflieferungsverkehrs aufwirft. Über das Verfahren wurde bspw. bei LTO.de ausführlich berichtet. Andererseits zeigt das Verfahren erneut, dass sich im Auslieferungsrecht intensiv mit den Haftbedingungen im ersuchenden Staat befasst werden muss – in diesem Fall Ungarn.
Unzulängliche Haftbedingungen können bei entsprechende Begründung als zentrales Argument gegen eine Auslieferung angeführt werden. Dies hat Rechtsanwalt Dr. Jan-Carl Janssen auch am Beispiel des Vereinigtes Königreichs und dem entsprechenden Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 10.3.2023 gezeigt, das die Auslieferung eines Verfolgten in das Vereinigte Königreich im Hinblick auf unzureichende Garantiererklärungen hinsichtlich der zu erwartenden Haftbedingungen für derzeit unzulässig erklärt hatte. Rechtsanwalt Dr. Janssen wurde mit einer rechtsvergleichenden Arbeit zum Strafvollzug promoviert.
Tenor – Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 28.06.2024, Az. 2 BvQ 49/24):
- Die Übergabe des Antragstellers an die Behörden der Republik Ungarn wird bis zur Entscheidung über die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Wochen, einstweilen untersagt.
- Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin wird mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt. Sie wird angewiesen, durch geeignete Maßnahmen eine Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden zu verhindern und seine Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken.
Es folgte erhebliche und aus unserer Sicht berechtigte Kritik an der Praxis der Generalstaatsanwaltschaft Berlin.
Die Gründe der Entscheidung können im Volltext hier abgerufen werden.
Tenor – Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 24. Januar 2025 – 2 BvR 1103/24):
- 1. Der Beschluss des Kammergerichts vom 27. Juni 2024 – 4 OAus 2/24 – 151 AuslA 195/23 – verletzt die beschwerdeführende Person in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, soweit ihre Überstellung an die ungarischen Justizbehörden für zulässig erklärt wurde.
- 2. Das Land Berlin hat der beschwerdeführenden Person ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
- 3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 15.000 (in Worten: fünfzehntausend) Euro festgesetzt.
Die Gründe der Entscheidung können im Volltext hier abgerufen werden.
Tagesschau.de berichtet zum aktueller Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.1.2025:
„Das Urteil ist auch politisch brisant, weil das Bundesverfassungsgericht den schriftlichen Zusagen der ungarischen Behörden ausdrücklich nicht glaubt, dass non-binäre Personen keine Diskriminierung oder Gewalt in ungarischen Gefängnissen zu fürchten haben. In ungarischen Gefängnissen gebe es zudem systematische Mängel wie Überbelegung. Die Klägerin hatte sich mit Hinweis auf ihre Geschlechtsidentität auf Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) berufen. Das Verfassungsgericht kam nun zu dem Schluss, dass das Kammergericht die Lage nicht ausreichend geprüft habe. „Insbesondere hat es die Haftumstände, die die beschwerdeführende Person in Ungarn erwarteten, nicht hinreichend aufgeklärt“, teilte das Gericht mit. Die Überstellung stelle einen „tiefgreifenden Grundrechtseingriff“ dar. Ob Deutschland nun die Rücküberstellung der deutschen Staatsbürgerin beantragt, blieb zunächst unklar.“
Wir vertreten bundesweit regelmäßig Verfolgte in Auslieferungsverfahren. Bei entsprechenden Anfragen wenden Sie sich bitte an Rechtsanwalt Dr. Jan-Carl Janssen oder Rechtsanwalt Jan-Georg Wennekers.