Das Landgericht Konstanz hatte in einem für die Öffentlichkeit spektakulären Verfahren darüber zu entscheiden, ob die Anwendung von Jugendstrafrecht zu prüfen ist, wenn einem Angeklagten Straftaten in verschiedenen Altersgruppen (Taten noch als Heranwachsender und später als Erwachsener) zur Last gelegt werden und die Taten, die im Heranwachsendenalter begangen worden sein sollen, auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 154 StPO eingestellt werden, sog. Schwerpunktentscheidung nach § 32 JGG.

Der Verteidiger war und ist der Auffassung, dass die Prüfung einer Schwerpunktentscheidung (also ob die Anwendung von Jugendrecht in Betracht kommt) nicht dadurch entbehrlich wird, dass genau diese Verfahrensteile nach § 154 StPO eingestellt werden.

Zwar vertritt der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH 4 StR 189/19) folgende Auffassung:

„Wird der Angeklagte (nur) wegen Taten verurteilt, die er als Erwachsener begangen hat, hatte die Staatsanwaltschaft jedoch hinsichtlich weiterer Taten, die der Angeklagte bereits als Heranwachsender begangen hatte, von einer Verfolgung gemäß § 154 StPO abgesehen, kommt eine analoge Anwendung des § 32 JGG in Verbindung mit § 105 JGG nicht in Betracht.“

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 07.02.2019 – 1 StR 485/18 – NZWiSt 2019,289) vertritt zur Schwerpunktentscheidung die gegenteilige Auffassung, wonach dieser Konstellation eine entsprechende Anwendung des § 32 JGG geboten ist, vergleiche unter anderem auch OLG Düsseldorf NStZ – RR 2017, 28f in Einklang mit nahezu der gesamten Literatur, vergleiche Diemer/Schatz/Sonnen, JGG 8. Aufl., § 32, Rn. 44.

Der Auffassung des 1. Strafsenats ist nach Auffassung der Verteidigung der Vorzug zu geben, da sie dem gesetzgeberischen (Vereinheitlichungs)-Zweck des § 32 JGG entspricht. Dies wird gerade im vorliegenden Verfahren deutlich, indem sowohl die Jugendgerichtshilfe als auch die Begutachtung nach §§ 21, 64 StGB zum Ergebnis kommen, dass die Tatwurzeln auf einen Zeitpunkt zurückgehen, in dem der Angeklagte noch Jugendlicher war.

Das Gericht hat sich dem nicht angeschlossen und die Prüfung der Anwendung von Jugendrecht abgelehnt.

 

Straftat auf Feier zum 21. Geburtstag

Zu den Besonderheiten des Verfahrens zählte dann aber auch, dass eine Straftat, wegen der schließlich Verurteilung erfolgte, auf einer Geburtstagsparty begangen wurde, auf der der Angeklagte seinen 21. Geburtstag gefeiert hatte. Die Tat war 30 Minuten nach Mitternacht begannen – für die Anwendung von Jugendrecht war es also zu spät.

 

Die Staatsanwaltschaft hatte zu Ende des Verfahrens massive Freiheitsstrafen von bis zu elf Jahren für die jungen Angeklagten beantragt. Der Verteidiger hatte bei Anwendung von Jugendrecht eine Strafe von vier Jahren und bei Anwendung von Erwachsenenrecht eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren beantragt.

Das Gericht war zwar der Anregung der Verteidigung, die Anwendung von Jugendrecht zu prüfen, nicht gefolgt. Es hat dann aber eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt.

 

Presseberichterstattung

Südkurier v. 08.12.2022

SEK stürmte die Wohnung nach der Folternacht – Landgericht verhängt mehrjährige Haftstrafen

Die vier Hauptangeklagten im Prozess um die Folternacht zum Ostermontag müssen zwischen drei und sechs Jahre ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft hatte sehr viel höhere Strafen gefordert.

(…)

Sechs Jahre Haft: Der 21-Jährige hat sich sowohl bei den Folterungen im Zusammenhang mit erpresserischem Menschraub als auch bei den Körperverletzungen in Radolfzell sowie beim Drogenhandel strafbar gemacht. Die Staatsanwältin forderte eine Haftstrafe von elf Jahren, der Vertreter der Nebenklage brachte die Überlegung einer anschließenden Sicherheitsverwahrung ins Spiel. Der Verteidiger plädierte – je nach Beurteilung gemäß Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht – für vier bis fünf Jahre Gefängnis. Das Gericht entschied sich für sechs Jahre, der Mann bekommt im Rahmen der Haft außerdem die Chance zur Drogentherapie.

 

 

Für Fragen stehen Ihnen die Strafverteidiger Jens Janssen, Jan-Georg Wennekers und Dr. Jan-Carl Janssen gerne zur Verfügung.