Als der Bundesgerichtshof im Dezember 2021 in seinem Urteil 1 StR 197/21 auf die von den Verteidigern Jan-Georg Wennekers und Dr. Jan-Carl Janssen geführte Revision nach langen Jahren endlich einen weiteren Schritt zur Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte machte und bei Vorliegen rechtsstaatswidriger Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler ein Verfahrenshindernis annahm, waren wir der Meinung, dass nun mit einer raschen Umsetzung der im Koalitionsvertrag versprochenen gesetzlichen Regelung zu rechnen sei. Der Bundesgerichtshof hatte entschieden:
„Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Tatgeschehen insoweit von einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation geprägt ist und dem diesbezüglichen Verfahren daher wegen Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK ein – von Amts wegen zu beachtendes – Verfahrenshindernis entgegensteht.“
Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie zur Tatprovokation
Über zwei Jahre später gibt es zwar einen Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zu einer solchen gesetzlichen Regelung, dieser bleibt aber leider in Teilen hinter der Erwartung einer klare Regelung zurück.
Jegliches heimliches polizeiliches Vorgehen birgt die Gefahr von Missbrauch staatlicher Macht und dringt tief in grundrechtlich geschützte Sphären der „Zielpersonen“ ein, weshalb enge gesetzliche Vorgaben in diesem Bereich besonders wichtig sind.
Die vorgesehenen Nachschärfungen bei den Regelungen zu Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen in den neuen §§ 110 a und 110 b StPO(neu) sind daher insgesamt begrüßenswert.
Die Neuregelung lautet:
§110c (neu) – Verleiten zu einer Straftat; rechtsstaatswidrige Tatprovokation
„(1) Verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen dürfen zur Aufklärung von Straftaten einen Beschuldigten zu einer Straftat nur dann verleiten, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Beschuldigte generell zur Begehung von Taten dieser Art bereit ist und das Verleiten ohne erhebliches Einwirken auf ihn erfolgt. Die Tat, zu der der Beschuldigte verleitet werden soll, muss nach Art und Schwere in einem angemessenen Verhältnis zur Tat stehen, derer der Beschuldigte verdächtigt wird, und sie darf Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit einer Person nicht gefährden.
(2) Ein Verleiten zu einer Straftat nach Absatz 1 ist nur zulässig, wenn die Aufklärung der Straftat ansonsten aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Diese Maßnahme darf nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch die Staatsanwaltschaft getroffen werden. Soweit die Anordnung nicht innerhalb von drei Werktagen von dem Gericht bestätigt wird, tritt sie außer Kraft.
(3) Provoziert ein Verdeckter Ermittler oder eine Vertrauensperson eine Person rechtsstaatswidrig zu einer Straftat, sind die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen wegen der Tat gegenüber dieser Person ausgeschlossen. Eine Tatprovokation ist rechtsstaatswidrig, wenn ein Verdeckter Ermittler oder eine Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise erheblich auf eine Person einwirkt, um ihre Tatbereitschaft zu wecken oder ihre Tatplanung wesentlich zu intensivieren.“
Kritik am Referentenentwurf
Der entworfene § 110 c StPOneu erscheint aber in mehrfacher Hinsicht problematisch. Wenn die Vorschrift in Absatz 1 zunächst das als zulässig behauptete „Verleiten“ zu Straftaten durch Ermittlungsbehörden regelt und mithin eine förmliche Legitimation für solches Vorgehen schafft, stellt sich zum einen schon ein sprachliches Abgrenzungsproblem zwischen „Verleiten“ und verbotenem „Provozieren“. Gleicht man den Gesetzentwurf mit den Vorgaben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ab, zeigt sich, dass aus der offenbar ausschließlichen Rezeption der deutschen Übersetzungen unpräzise und teils falsche Vorstellungen der tatsächlichen Vorgaben durch die europäische Rechtsprechung ergeben. Die Übersetzung der vom Gerichtshof als regelmäßig nicht zulässig angesehenen Vorgehensweisen „entrapment“ (dt. Fallenstellen) und „incitement“ (dt. Anstiften oder Verleiten (!)) in den deutschen Begriff „rechtsstaatswidrige Tatprovokation“ verengt den vom EGMR umrissenen unzulässigen Bereich.
Immerhin dürfte durch den im Entwurf in § 110 c Absatz 3 StPOneu vorgesehenen Richtervorbehalt, der eine auf einem nachvollziehbaren Tatverdacht gründende Anordnung erforderlich macht, eine Einschränkung auf eine weitgehend passive Polizeitätigkeit möglich sein, wie sie der Gerichtshof fordert. Denn bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz richten sich „Art und Schwere“ einer Tat stets nach der Menge der vertriebenen Drogen. Daher wird eine richterliche Anordnung in jedem Fall eine ungefähre Mengenangabe für zulässige Kaufangebote im Rahmen eines § 110c-Beschlusses nennen müssen.
Bei aller Kritik am Gesetzentwurf wird eine gesetzliche Regelung dringend benötigt um die derzeitigen polizeilichen Vorgehensweisen, die teils wenig Rücksicht auf die Vorgaben aus Straßburg nehmen, endlich einzuhegen. Auch im Bereich des Landgerichts Freiburgs arbeiten Verdeckte Ermittler in nach wie vor in hochproblematischen Zusammenhängen, wie sich aus aktueller Berichterstattung ergibt.
Zu allen strafrechtlichen Fragen beraten Sie Ihre Strafverteidiger Dr. Jan-Carl Janssen, Jan-Georg Wennekers, Jens Janssen und Katharina Ebert.