In der Zeitschrift Strafverteidiger Heft 10 wurde der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 10.03.2023 (Az. 301 OAus 1/23) zum Auslieferungsrecht mit einer Anmerkung von Rechtsanwalt Dr. Jan-Carl Janssen veröffentlicht. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte am 10.03.2023 entschieden, dass die Auslieferung des Verfolgten an das Vereinigte Königreich derzeit unzulässig ist, nachdem es konkrete Anhaltspunkte dafür gab, dass dem Verfolgten eine menschenunwürdige Unterbringung in den Strafvollzugseinrichtungen des Vereinigten Königreichs im Sinne des Art. 3 EMRK droht.

 

Reportage in der Süddeutschen Zeitung

Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung ist am 27.09.2023 in der Süddeutschen Zeitung eine Reportage zu den Zuständen im britischen Strafvollzug erschienen, die das OLG Karlsruhe bewogen haben die Auslieferung an das Vereinigte Königreich für derzeit unzulässig zu erklären:

 

Kontrollverlust
Die britischen Gefängnisse sind in einem so lausigen Zustand, dass deutsche Gerichte schon Auslieferungen ablehnen: zu wenig Wärter, zu viele Insassen. Und dann sind da noch die Ratten. Ein Hilferuf.

„Die Schlagstöcke der Gefängniswärter sind ausziehbar, wie Teleskopstangen. Mit einer schnellen Handbewegung schießen die einzelnen Elemente hervor, bis sie mit einem lauten Klick einrasten. Die Aufseher lassen ihre Schlagstöcke nur klicken, wenn sie müssen: Wenn es klickt, gibt es Probleme. Wie an diesem Tag im Spätsommer 2016, da war das Klicken überall, sagt Alex South. Die Frage war, ob es eine Situation gibt, die sich bei ihr besonders eingeprägt hat in ihren zehn Jahren als Gefängniswärterin, in denen sie ja vieles erlebt hat, das sich einprägt, so viel Erschütterndes, Brutales, Trauriges. Alex South hat nicht lang überlegt.

(…)

Wie es drinnen zugeht, das kann man auch in einem Entscheid des Oberlandesgerichts Karlsruhe gegen die Auslieferung eines Angeklagten aus Albanien nach Großbritannien nachlesen, vom März dieses Jahres. Erst jetzt wurde der Richterspruch publik, Auslieferung „derzeit unzulässig“, wegen der menschenunwürdigen Zustände in den Gefängnissen. Der Anwalt des Albaners war Jan-Carl Janssen, ein 36-jähriger Jurist, der unter anderem in Glasgow studiert hat. Der Albaner war in Süddeutschland mit einem internationalen Haftbefehl festgenommen worden, wegen Drogendelikten wurde er in Großbritannien gesucht. Aber Großbritannien ist seit dem Brexit aus EU-Sicht ein Drittstaat, wie auch Albanien, und Janssen fand, eine Auslieferung sei „nicht richtig“. Vor ein paar Jahren hat er sich selbst ein paar Gefängnisse in Großbritannien angeschaut, „das war gruselig“, sagt er in einem Videotelefonat. Er legte das im Verfahren dar, und die Erklärung der Briten auf Anfrage des Oberlandesgerichts sei dann „ganz schwach“ gewesen. Unter anderem hieß es, es würden doch 20 000 neue Gefängnisplätze aufgebaut – womit praktisch zugegeben wurde, dass es ein Problem mit Überlastung gibt. Das Oberlandesgericht entschied gegen die Auslieferung – und sprach den Albaner infolgedessen zwangsläufig frei. Mehrere britische Medien berichteten über die Entscheidung des deutschen Gerichts, die britische Anwaltskammer sprach von einer „Peinlichkeit für Großbritannien“. Und das britische Justizministerium? Veröffentlichte ein Statement, das klang wie Selbstlob. Es würde doch „mehr getan denn je“, außerdem: Man werde weiterhin den Plan verfolgen, 20 000 neue Gefängnisplätze aufzubauen. (…)“

Die Reportage ist im Volltext hier abrufbar.